GEGENWARTSFÄHIGKEIT ODER DIE KUNST, PRÄSENT ZU SEIN

Es ist immanent, im Moment zu sein. Vergangenheit und Zukunft sind nur zeitversetzte Momente. Die Zeit ist ein Konstrukt unserer Gedanken. Und dehnbar. Und individuell. Und überhaupt! Was ist denn die Zeit? Woher kommt sie? Wohin geht sie?

Rein mathematisch könnte sie auch rückwärts verlaufen. Doch in unserem Leben vergeht sie vorwärts. Von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Mit unseren Gedanken sind wir selten in der Gegenwart. Doch unser Körper ist stets gegenwärtig. Er funktioniert JETZT. Er pulsiert JETZT. Er schmerzt JETZT. Er ist unser Anker für die Kunst, gegenwärtig zu sein.

Ich sitze und atme – ein, aus, ein, aus, ein, aus, ... Ich stelle mir vor, dass ich in zehn Minuten auch noch ein- und ausatme. Nicht sicher! Aber sicher ist: Der Körper atmet JETZT. Ich erinnere mich, dass mein Nacken gestern noch nicht schmerzte. Aber er schmerzt JETZT. Ich spüre den Verlauf der Atmung, das Heben und Senken der Bauchdecke. Mein Herz schlägt. Mein Augenlid zuckt. Ich schlucke.

Doch wer ist „ICH“? Ist das „ICH“ wirklich in diesem Körper? Meine Gedanken wandern. Tagträume. Ich befinde mich ganz woanders. In anderen Welten, anderen Zeiten, anderen Dimensionen. Der Körper atmet weiter. Das Herz schlägt weiter. Der Schluckreflex arbeitet weiter.

„ICH“ bin nicht gegenwärtig, aber dieser Körper ist es. Ist es „mein“ Körper? Nein, denn „ICH“ wurde in diesen Körper hineingeboren. Und „ICH“ werde diesen Körper wieder verlassen. „JETZT“ noch nicht! Hoffe ich. Glaube ich. Spüre ich.

Spüren. Empfinden. Wahrnehmen. Das ist die Fähigkeit, präsent zu sein. Das bedeutet es, zu leben.

Freude, Glück, Liebe, Vertrauen, Mut, Mitgefühl. Aber auch Ärger, Wut, Trauer, Angst, Hass, Neid. Unsere Welt ist eine Welt der Gegensätze. Es gibt Licht und Schatten. Es anders haben zu wollen, ist sinnlos. Gegenwärtig zu sein heißt völlige Akzeptanz dessen, was sich JETZT zeigt.

Im jetzigen Moment ist alles da – zugleich. EINS. Das ist die Realität, die Fülle des SEINS. Es ist dieser sanfte Hauch, dieser zarte Duft des Unendlichen, der uns nährt.

Nicht das neue Auto, nicht das große Haus, nicht die tägliche Arbeit, nicht der nächste Urlaub. Wir können ohne diese Dinge leben. Aber nicht ohne Sinn, ohne Verbindung, ohne Wachstum!

Der Sinn des Lebens. Der Sinn des Seins. Der Spür-Sinn. Das Pulsieren. Die Schwingung. Die stetige Bewegung. Und die gleichzeitige Stille. Die Leere. Der Raum.

 

Ein Körper sitzt und atmet – ein, aus, ein, aus, ein, aus ... Ein Bewusstsein ist Zeuge. Es beobachtet. Moment für Moment. In Stille. Die Augen sind geschlossen. Der Gedankenstrom beruhigt sich. Die Atmung wird langsamer. Die Zellen regenerieren sich.

Das „ICH“ ist gegenwärtig. JETZT.